FRAGEN ZU MaP
1) Was könnten Gründe für die tiefe Männerquote an Primarschulen sein?
Die Entwicklungen sind komplex und durch eine Vielzahl von Gründen bestimmt. Wenn man diese Komplexität grob reduziert, kann man in den vergangenen Jahrzehnten zwei gegenläufige Trends feststellen:
- Der Rückzug der Männer aus dem Lehrer-Beruf. Dieser war bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine Männerdomäne. Seither haben sich die Männer immer mehr aus der Pädagogik, vor allem in den Kindergärten und in der Primarschule verabschiedet. Viele Männer betrachten die Arbeit mit jüngeren Kindern als weiblich, als nicht männlich. Im Vergleich mit anderen Studienrichtungen ist der Lehrberuf schlechter bezahlt, er hat auch an Prestige verloren. Nicht zu unterschätzen ist der Generalverdacht bzw. die Angst vor Missbräuchen durch Männer in der Arbeit mit Kindern..
- Die Erhöhung der Erwerbsquote auf Frauenseite in Verbindung mit der hohen Attraktivität des Lehrberufs mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Man muss ja sehen: In der modernen Schweizer Durchschnittsfamilie ist in der Regel immer noch der Mann der Haupternährer und die Frau trägt „nur“ im Teilzeitpensum zum Familieneinkommen bei. Für sie ist der Lehrberuf attraktiv, weil Teilzeitarbeit möglich und üblich ist, die Möglichkeit von Erwerbsunterbrüchen besteht etc.
Aus Sicht des Vereins MaP irreführend ist die Rede von der „Feminisierung der Schule“. Erstens weil er suggeriert, dass Frauen die Schule für sich „erobert“ hätten, während sich in der Realität vielmehr die Männer aus den pädagogischen Berufen zurückgezogen haben. Andererseits ist der Ansatz problematisch, weil er eine Verbindung konstruiert, die es so nicht gibt: die Verbindung zwischen dem biologischen Geschlecht und einer bestimmten Art des Unterrichtens. Dabei zeigen Untersuchungen klar: Es gibt keinen „weiblichen Unterricht“ und es ist auch nicht so, dass die Buben (und Mädchen) mehr Mühe haben mit dem Unterricht, wenn sie Lehrerinnen haben.
2) Wie war diesbezüglich die Entwicklung in den letzten Jahren?
Es ist ein kontinuierlicher Rückzug der Männer feststellbar, die 1964 erstmals in der Minderheit an der Schule waren und mittlerweile auf Primarstufe noch einen Anteil von knapp 18 Prozent ausmachen (Eingangs- und Vorschulstufe 5 Prozent).
Mit Blick auf die Zukunft haben wir gegenläufige Trends: Einerseits werden in naher Zukunft viele Lehrpersonen aus der Generation pensioniert, als der Männeranteil noch höher war. Andererseits stellen wir erfreut doch eine sanfte Trendwende bei den Jungen fest: Das Studium an der Pädagogischen Hochschule wird für junge Männer wieder attraktiver. Die Zahlen - zwar noch auf tiefem Niveau - nehmen zu.
3) Wie hat sich das Bild der Lehrperson in den letzten Jahren verändert?
Das Ansehen der Lehrpersonen mag in Vieler Augen gesunken sein. Man sollte aber sehr skeptisch sein, ob dies allein den sinkenden Männeranteil zu erklären vermag. Dazu kommt evtl. noch der Autoritätsverlust, die hohe Arbeitsbelastung und der Lohn, der im Verhältnis zu anderen Studienrichtungen gesehen eher tief ist.
4) Wie wirkt sich die tiefe Männerquote an Primarschulen auf den Schulunterricht, die Schulkinder und die Entwicklung der Schule aus?
Zuerst einmal ist wichtig festzustellen: Guter Unterricht ist keine Frage des Geschlechts. Wir dürfen angesichts des Männerrückzugs ja primär froh sein, dass so viele kompetente und engagierte Frauen diesen Beruf ausüben!
Es geht um etwas Anderes: Schulen sind Organisationen und die profitieren von Vielfalt im Team. Das gesamte System gewinnt, wenn eine Vielfalt von Perspektiven, Lebenserfahrungen, sozialen und kulturellen Hintergründen vertreten sind. Wenn man das so betrachtet, muss man nüchtern festhalten: Männliche Perspektiven sind massiv untervertreten, und das ist aus verschiedenen Gründen nicht ideal. Unter anderem wird die Hürde für Männer, Lehrer zu werden, immer grösser, je mehr sie zu Exoten werden.
Aus Sicht der Kinder stellen sich weitere Probleme: Sie lernen, dass der Lehrberuf „weiblich“ ist, wenn sie an der Schule kaum je einem Mann begegnen. Das erhöht die Gefahr, dass sich die Jungs (Schule ist nicht cool, weil unmännlich) und Männer (Lehrer werden/sein ist nicht männlich) noch weiter aus der Schule zurückziehen. Das ist aber auch deshalb problematisch, weil Kinder ja schon im Alltag daheim, auf dem Spielplatz, in der Kita oder im Hort in aller Regel kaum Männern begegnen. Dadurch verunmöglichen wir ihnen eine wichtige Erfahrung: nämlich die Erfahrung, dass Männer genauso vielfältig sind, dass Männlichkeiten genauso bunt sind. Von dieser breiten Palette an Identifikationsmöglichkeiten profitieren übrigens Buben und Mädchen gleichermassen! Erleben Buben zu wenig lebhafte Männervorbilder im Alltag (zu Hause sowie in der Schule), suchen sie ihre Vorbilder möglicherweise in den medialen Fantasiewelten von Superhelden, Film-, Youtube- und Musikstars oder Sportidolen, die sie kaum auf das Realleben vorbereiten.
5) Warum braucht es aus mehr Männer als Lehrpersonen?
Es geht um Chancengleichheit und Vielfalt. Das Potenzial zur Lehrperson ist grundsätzlich zwischen Buben und Mädchen gleichmässig verteilt. Es ist eine Verschleuderung von Talenten, wenn geeignete Buben und junge Männer den Beruf nur deshalb nicht ergreifen, weil er gemeinhin als „Frauenberuf“
wahrgenommen wird und sie (noch) nicht die Kraft haben, sich auch als Teil einer Minderheit wohl zu fühlen und zu entfalten.
6) Was machen Männer als Lehrpersonen anders als Frauen?
Es gibt nicht einen „männlichen“ und einen „weiblichen“ Unterrichtsstil. Das ist nicht das Problem. Es gibt aber Schulhauskulturen, die anders sind, wenn sie nicht von männlichen und weiblichen Fachpersonen gemeinsam ausgehandelt und gestaltet werden. Genauso wie wir heute erwarten, dass eine Regierung oder ein Verwaltungsrat ausreichend männliche und weibliche Perspektiven einbezieht, dürfen wir erwarten, dass eine Schule ausreichend männliche und weibliche Perspektiven einbezieht.
7) Wären gewisse disziplinarischen oder andere Probleme mit einem höheren Männeranteil an den Primarschulen weniger ein Thema?
Die Frage unterstellt, dass männliche Lehrpersonen generell dem Typus der strengen-aber-gerechten Lehrperson entsprechen. Das kann ja gar nicht der Fall sein, wenn wir uns vor Augen halten wie unterschiedlich die Gruppe der Männer selbst ist.
Sicher gibt es Buben und Mädchen und Mütter und Väter, die anfänglich unterschiedlich auf einen Mann oder eine Frau oder je nach Alter usw. als Lehrperson reagieren. Stellen Sie sich beispielsweise vor, wie es einem Kindergartenlehrer geht – er wird mit speziellen Erwartungen konfrontiert. Eine geschickte männliche oder weibliche Lehrperson berücksichtigt die Fremdwahrnehmung bewusst und handelt angemessen.
Aus unserer Sicht könnte man eher sagen: Die Probleme wären auch mit mehr Männern noch die gleichen, aber die Werkzeugkiste zur Lösung dieser Probleme wäre ziemlich sicher reicher gefüllt – und damit wäre eben auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass für die spezifische Herausforderung das passende Werkzeug bereit steht. Auch das ist nicht anders als im Verwaltungsrat, der Entscheidendes zu übersehen droht, wenn nur Männer drin sitzen.
8) Was muss sich verändern, dass wieder mehr Männer sich für diesen Beruf entscheiden?
Verschiedenes auf verschiedenen Ebenen:
- Kulturell müssen wir dringend den Stereotyp überwinden, die Arbeit mit Kindern sei „weiblich“ und damit irgendwie „unmännlich“.
- Politisch braucht es klare Vorgaben, einen klaren Willen: Wir möchten und brauchen auch an der Schule Vielfalt.
- Auf Massnahmenebene braucht es unsere aktuellen und weitere Projekte zur Förderung der geschlechtsspezifischen Berufswahl. Es braucht z.B. Schnuppermöglichkeiten für junge Männer, damit sie den Primarlehrberuf Einblick bekommen. Wichtig sind auch Vernetzungsbestrebungen von männlichen Studierenden an Pädagogischen Hochschulen. Die Zusammenarbeit zwischen Fachstellen aus dem Genderbereich mit den Akteurinnen und Akteuren der Bildungslandschaft bewährt sich da sehr. Auch Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich der gendersensiblen Vermittlung von Berufs- und Studienwahlkompetenzen für Lehrpersonen und Berufsberatende, die Jugendliche im Berufswahlprozess begleiten, erachten wir als wichtig.
Es braucht auch in der Schule „Aufstiegsmöglichkeiten“ für die Lehrpersonen, z.B. dass man sich auf einem Gebiet spezialisieren kann und es so möglich ist, eine besondere Stellung in der Schule einzunehmen.
9) Mit welcher Entwicklung kann gerechnet werden?
Die Situation ist entwicklungsoffen und kann in beide Richtungen gehen. Gerade deswegen wäre es wichtig, wenn die politische Führung – also z.B. die kantonalen Erziehungsdirektionen – sich in Richtung von geschlechterbalancierten Schulen äussern und konkrete Massnahmen einführen würde. Beispiele für Massnahmen könnten unsere auf unserer Website präsentierten Angebote sein.